Zeugnisverweigerung Teil 2

Aussage verweigern, obwohl das Verfahren eingestellt wurde?

Frage: Kann ein Zeuge die Aussage in einem Gerichtsverfahren verweigern, auch wenn das Verfahren gegen Ihn von Seiten der Staatsanwaltschaft nach § 170 II StPO eingestellt wurde?

Ein solches Auskunftsverweigerungsrecht steht ihm zu, jedenfalls aufgrund der abstrakten Gefahr, bei Beantwortung von Fragen zu diesem Beweisthema
wegen einer Straftat verfolgt zu werden. Eine solche Verfolgungsgefahr besteht, wenn eine Ermittlungsbehörde aus der Aussage Tatsachen entnehmen
könnte, die sie zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens oder auch zur Aufrechterhaltung oder Verstärkung eines Tatverdachtes veranlassen könnte.
Die sichere Erwartung des Ergebnisses ist dabei nicht erforderlich, vielmehr ist die abstrakte Gefahr ausreichend.
Eine entsprechende Verdachtsbegründung oder Verdachtsverstärkung darf nur nicht völlig zweifelsfrei auszuschließen sein.
Ausreichend ist insbesondere, dass eine materiell- strafrechtliche oder prozessuale Würdigung, nach der die Gefahr einer Strafverfolgung bestünde,
vertretbar ist.
Ausreichend ist insbesondere dass Tatsachen, die sich aus der Aussage des Zeugen ergeben, bloß mittelbar einen Tatverdacht begründen oder verstärken, insbesondere dann, wenn sie als Teilstück eines mosaikartigen Beweisgebäudes zur Belastung des Zeugen beitragen könnten.
Eine solche Gefahr der Strafverfolgung droht jedenfalls wegen der Taten, die Gegenstand des Ermittlungsverfahrens waren.

Auch wenn sich in einem Verfahren der Vorgang unter Beweisthema auf einen anderen Sachverhaltskomplex im Sinne einer prozessualen Tat
bezieht, können Aussagen des Zeugen zu diesem Beweisthema doch mittelbar den Verdacht, der dem Ermittlungsverfahren zugrunde lag, begründen, aufrecht
erhalten oder verstärken. ( Zitat für das Vorstehende :OLG Celle, Beschluss vom 11.01.2016, 13W 58/15 ).
Zwar entfällt ein Auskunftsverweigerungsrecht dann, wenn das Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen eingestellt worden ist und nicht wieder aufgenommen
werden kann.
Ob dies in einem konkreten Fall so ist, bedarf aber einer genaueren Prüfung.
Zwar hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit Schreiben vom 12.April 2021 nach § 170 II StPO eingestellt, jedoch war aus der Einstellung kein Grund ersichtlich auf welchen Gegenstand
und auf welche einzelne Tat sich diese Einstellung bezog.
Wenn auch nur eine mögliche Tat nicht Gegenstand des Strafverfahrens gewesen ist, ist bezüglich dieser Tat keine Einstellung erfolgt, sodass eine Zeugenaussage
neue Ermittlungen in Gang setzen könnte.
Die Staatsanwaltschaft kann ein Ermittlungsverfahren nicht endgültig einstellen.
Zwar entfaltet die “Einstellung mangels hinreichendem Tatverdacht” keine Rechtskraft – die Sache kann also jederzeit wieder aufgenommen werden.
Die Vorschrift des § 154 IV StPO, nach der eine Wiederaufnahme drei Monate nach Rechtskraft des in anderer Sache ergangenen Urteils ausgeschlossen ist,
gilt nur bei einer vom Gericht, aber nicht bei einer von der Staatsanwaltschaft vorgenommenen Einstellung des Verfahrens ( BGH Beschluss vom 25.01.2006,, 1StR 438/05 ).
Das bedeutet, dass die Einstellung des Strafverfahrens nur vorläufig erfolgt.
Die Staatsanwaltschaft kann damit das Verfahren jederzeit bis zum Eintritt der Verjährung wieder aufnehmen BGH, Beschluss 21.12.2010,2 StR 344/10 ).
So hat auch das OLG Nürnberg mit Beschluss vom 10.September 2021 in einem gleich gearteten Fall entschieden, wie folgt ( OLG Nürnberg, 2 U 400/20, vorher LG Regensburg 83 O 1293/18):
„Die Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat besteht, wenn der Zeuge bei wahrheitsgemäßer Aussage bestimmte Tatsachen angeben müsste, die nach
der Beurteilung durch das Gericht den Anfangsverdacht einer strafbaren Tat begründen. Es kommt nur darauf an, ob die Gefahr bzw. Möglichkeit der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens besteht. Verfolgungsgefahr besteht dann nicht, wenn der Zeuge für eine Tat nicht oder nicht mehr belangt werden könnte.
Dabei muss die Strafverfolgung zweifellos ausgeschlossen sein (vgl. Bader, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 55 Rdnr. 4 m. w. N. für die gleichgelagerte Problematik bei § 55 StPO).
Auf § 170 II StPO gestützte Einstellungen beseitigen die Verfolgungsgefahr nicht, wenn und solange die Möglichkeit besteht, dass das Verfahren wieder aufgenommen wird.
Die Möglichkeit der Wiederaufnahme ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, wobei zu bedenken ist, dass den Einstellungen der Staatsanwaltschaft
keine oder nur eine beschränkte Rechtskraftwirkung zukommt (vgl.Maier, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 55 Rdnr. 48).
Die Staatsanwaltschaft kann das von ihr vorläufig eingestellte Verfahren jederzeit wieder aufnehmen.
Zwar wird von der herrschenden Meinung verlangt, dass die Staatsanwaltschaft zur Wiederaufnahme einen sachlich einleuchtenden Grund braucht, doch führt eine dennoch vorgenommene Wiederaufnahme nicht zwingend zur Einstellung des Verfahrens, sondern kann − unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens− ggf. auch nur zur Strafmilderung führen (vgl. Teßmer, in: Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., § 154 Rdnr. 67 f., m. w. N.).
Bereits die Möglichkeit der Einleitung eines neuen Verfahrens gegen den Zeugen lässt sein Auskunftsverweigerungsrecht fortbestehen, mag die Durchführung auch zweifelhaft sein (vgl. BGH, Urteil vom 16.10.1985 − 2 StR 563/84, NStZ 1986,181).

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